Corona und Verkehr
Prototyp

Kai Winnemann, Robert Schmirler, Vladislav Peshkov, Christina Jöst & Mert​ Kalkan

Corona und Verkehr

Wie beeinflusst Corona den Motorverkehr und die Fußgängerzahlen in Mannheim?

Im Rahmen eines Projekts zur Visualisierung von Daten, untersuchen wir den Einfluss der Corona-Pandemie auf Verkehrsaufkommen und -zusammensetzung in der Stadt Mannheim. Zusätzlich zu Verkehrsdaten, die per Kamera erhoben werden, betrachten wir Daten über Fußgängerzahlen in der Innenstadt.

Unsere gewählten Hypothesen lauten:

  1. Die 7-Tage-Inzidenz hat einen Einfluss auf den motorisierten Verkehr.
  2. Je höher die Inzidenz, desto niedriger die Fußgängerzahlen.

Dieses Projekt ist im Rahmen des Kurses “Grundlagen der Datenvisualisierung” im Wintersemester 2021/22 an der Hochschule Mannheim unter der Leitung von Prof. Dr. Till Nagel entstanden.

Datenquellen

Als Quelle vorgegeben waren die Verkehrsdaten der MVV Smart City. Sie bietet uns Zugang zu Daten von mehreren Infrarotkameras, die in der Innenstadt Mannheims verteilt Daten zu Zusammensetzung und Verkehrsaufkommen liefern. Kraftfahrzeuge werden nach ihrem Typ (PKW, Motorrad, LKW, …) und der befahrenen Spur unterschieden und ihre Anzahl im Abstand von zehn Minuten übermittelt. Die Daten wurden unter Verwendung der zur Verfügung gestellten API abgerufen und im .json Format gespeichert.

Da die Kameras jedoch erst seit Juni 2021 in Mannheim im Betrieb sind, reichen die Datensätze nicht bis zum Pandemiebeginn zurück. Besonders der Vergleich zu Zahlen vor der Pandemie und die Betrachtung des gesamten Pandemieverlaufs sind so leider nicht möglich. Um diesen Vergleich doch zu ermöglichen, bemühten wir uns weitere Quellen zu finden, jedoch waren keine vergleichbaren Daten für Mannheim verfügbar. In Frage kamen statistik-bw.de und svz-bw.de, jedoch lieferten diese nur akkumulierte Zahlen für gesamte Jahre, was den Vergleich mit den Daten der MVV unmöglich machte.

Als weitere Quelle zogen wir die Fußgängerzählung von hystreet.com heran. Für das Stadtgebiet von Mannheim werden an zwei Standorten, Planken Mitte und Planken Ost, erhoben und stündlich aktualisiert. Für das Projekt wurde uns Zugriff auf die API gewährt. Leider konnte die Anbindung aus zeitlichen Gründen während des Projekts nicht mehr umgesetzt werden. Die Daten wurden im .csv Format heruntergeladen und ins .json Format konvertiert.

Für Daten zur Corona-Inzidenz zogen wir die offiziellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts heran. Auch diese wurden im .csv Format heruntergeladen und ins .json Format konvertiert.

Explorative Datenanalyse der MVV Daten

Die EDA zu den MVV Verkehrskameras ist mit Hilfe von Tableau erstellt worden.

Die, für die Aufgabe zur Verfügung gestellten, Kameradaten wurden ausgewertet, um Effekte zu identifizieren die mit der Coronapandemie zusammenhängen. Besonderer Fokus lag bei dieser Analyse zunächst auf dem PKW-Verkehr.

Auswahl geeigneter Kameras

Zur Auswahl einer geeigneten Kamera für die Analysen wurden zunächst alle Daten betrachtet. Nachfolgend sind die täglich detektierte PKW aller verfügbarer Kameras zu sehen.

Balkendiagram, dass den zeitlichen Verlauf der Verkehrszahlen bei allen Kameras vergleicht.

Damit ein möglichst langer Zeitraum betrachtet werden kann wurden alle Kameras ausgeschlossen, die „verspätet“ in Betrieb genommen wurden. Übrig bleiben Kamera 001, 002 ,004, 005, 010, 015. Hiervon ausgeschlossen wurden Kamera 004 und 010 aufgrund zeitweiser Ausfälle. Es verblieben also mavi001, 002, 005 und 015.

Der kurze Ausfall in der letzten Septemberwoche bei allen Kameras außer 001 und 002 rechtfertigt keinen Ausschluss, muss aber bei der Analyse für diesen Zeitraum beachtet werden.

Abbildung einer Karte von Mannheim, die die Standorte der Kameras zeigt.

Obiger Kartenausschnitt zeigt die Lage der verfügbaren Kameras. Die ausgewählten Kameras liegen auf dem Luisenring (001,002), an der Zufahrt auf den Luisenring von der B44 kommend (005) und am Hauptbahnhof in Fahrtrichtung stadtauswärts (015). Da Kamera 005 nur den Verkehr auf einer Zufahrtsstraße registriert, aber Effekte auf das gesamte Verkehrsaufkommen untersucht werden sollen, wurde diese Kamera ebenfalls nicht weiter betrachtet.

Der folgende Abschnitt zeigt die Untersuchung der final gewählten Kameras 001, 002 und 015.

Untersuchung der Daten

Die Untersuchung wurde mit den aktuellen Daten vom 17.01.2022 durchgeführt. Für alle drei Kameras wurden zunächst die täglich detektierten PKWs den Corona Zahlen (tägliche Inzidenz Werte) gegenübergestellt. Die unterschiedlichen Farben der gestapelten Balken (gelb und orange bei mavi001) stehen für die verschiedenen Spuren, die von der Kamera erkannt werden.

Balkendiagramme der Kameras mavi001, mavi002 und mavi015 im Vergleich mit dem Verlauf der 7-Tage-Inzidenz.

Dabei wurden folgende Beobachtungen gemacht:

  • Es ist kein direkter Zusammenhang erkennbar, insbesondere die stark gestiegenen Corona Inzidenz ab Ende Oktober und die erneut stark steigenden Inzidenz Zahlen seit Anfang Januar haben keinen erkennbaren Einfluss auf den Trend der PKW-Zahlen.
  • Die drei Kameras untereinander haben auch keinen einheitlich zeitlichen Verlauf. Der Grund hierfür ist unklar, ließ sich aber nicht durch Ereignisse wie Ferien oder Bauarbeiten erklären.
  • Die verschiedenen Spuren haben ebenso keinen Einfluss und bilden diese zeitlichen Verläufe nach. Lediglich bei Kamera 1 nimmt die orange Spur Anfang Dezember stark ab und bleibt auf diesem niedrigen Niveau, obwohl die andere Spur keine Veränderung zeigt. Die Ursache ist jedoch unklar.
  • Die Kameras 001 und 002 zeigen zweimalig ein stetes zeitliches Abfallen gefolgt von einem sprunghaften Anstieg (z.B. mavi001 Ende August und Ende Oktober). Diese Verläufe sind jedoch erneut nicht für die beiden Kameras synchron. Es handelt sich vermutlich um ein Artefakt bei der Erfassung, wie zum Beispiel eine Neukalibrierungen der Kameras. Die tatsächliche Ursache konnte aber nicht ermittelt werden.
  • Bei Kamera 015 fehlt das stetige Abfallen jedoch hat auch diese einen einmaligen Anstieg im August.
  • Das Absinken der PKW-Zahlen im Dezember und Anfang Januar kann ursächlich nicht sicher eingeordnet werden. Die Effekte durch die Weihnachtsfeiertage sind nicht von den Pandemie Effekten zu trennen.

Da bei den gesamten täglichen Verkehrszahlen keine Zusammenhänge mit den Corona Zahlen erkennbar sind, wurde die Möglichkeit untersucht, ob es Effekte auf gewisse Teilmengen gibt. Es wurden hier die wöchentlichen Werte verwendet, damit sich die Verläufe zeigen lassen. Die untersuchten Teilmengen waren dabei:

  • Wochenende (Sa. und So.)
  • Pendler morgens (werktags 5:00-10:59)
  • Freizeit (täglich 18:00-23:59)

Folgende Diagramme zeigen die Ergebnisse für alle drei Kameras:

Diagramme zum Vergleich des Verlaufs des Verkehrs zu den genannten Zeitpunkten - mavi001.
Diagramme zum Vergleich des Verlaufs des Verkehrs zu den genannten Zeitpunkten - mavi002.
Diagramme zum Vergleich des Verlaufs des Verkehrs zu den genannten Zeitpunkten - mavi015.

Auch bei den Untersuchungen der Teilmengen zeigen sich keine Zusammenhänge mit der Corona Pandemie. Vielmehr bilden auch die Teilmengen die bei den Gesamtzahlen sichtbaren wöchentlichen Verläufe nahezu vollständig nach.

3Ergebnisse und Diskussion

Vorerst konnten keine Zusammenhänge zwischen dem PKW-Verkehr und der Corona Pandemie entdeckt werden. Dies liegt möglicherweise auch an den bei allen Kameras entdeckten Artefakten bei der Erfassung. Eventuell zeigen sich auch im weiteren Verlauf der aktuellen Corona Welle noch deutliche Effekte. Daher sollen die Daten im finalen Dashboard zur Exploration angeboten werden. Auch mit der Option eigene Filter zu setzten und somit Teilmengen zu betrachten.

Im Prototyp ist dann darauf geachtet worden, alle Fahrzeugtypen in einem Stacked-Area-Chart darzustellen, speziell mit den LKWs als unterste Area, da es die Überlegung gegeben hat, die Arbeitshypothese umzukehren, und zu sagen “Die Pandemie hat keinen Einfluss auf den LKW-Verkehr, da diese systemrelevant sind.” In der Tat gibt es zwar offensichtliche Schwankungen im LKW-Aufkommen, allerdings scheint es auch hier keinen Zusammenhang mit der Pandemie zu geben.

Explorative Datenanalyse der Fußgängerzahlen

Die EDA zu den Fußgängerzahlen ist in Tableau durchgeführt worden.

Zur Untersuchung unserer zweiten Hypothese zogen wir die Daten von www.hystreet.com, sowie vom Robert-Koch-Institut heran. Die zur Verfügung stehenden Messstationen “Planken Mitte” und “Planken Ost” zeigen nahezu identische Verläufe der Fußgängerzahlen über den Zeitraum der Pandemie. Daher beschlossen wir, uns auf “Planken Mitte” zu beschränken.

Abbildung von Diagrammen zu Fußgängerzahlen und 7-Tage-Inzidenz untereinander.

Ein Zusammenhang zwischen 7-Tage-Inzidenz und der Anzahl der Fußgänger schien direkt erkennbar. Der Einbruch der Fußgängerzahlen erfolgt jedoch erst mit einiger Zeit Versatz zur 7-Tage-Inzidenz. Auf den initialen Anstieg scheinen die Fußgängerzahlen aber nur wenig zu reagieren.

Ein Zusammenhang mit den zum Zeitpunkt geltenden Maßnahmen ist wahrscheinlicher. Der Einbruch der Fußgängerzahlen erfolgt zum gleichen Datum, wie der Beginn des Lockdowns.

Auswahl der Graphen

Zur Auswahl einer adäquaten Darstellung der Daten, haben wir besonders bei den Verkehrsdaten der MVV einige mögliche Visualisierungen ausprobiert.

Die Form der Daten als kontinuierlicher, zeitlicher Verlauf grenzte die möglichen Darstellungsformen schon stark ein, sodass eine Auswahl besonders zwischen verschiedenen Formen von Liniendiagrammen bestand. Zunächst betrachteten wir die Möglichkeit eines klassischen Liniendiagramms mit separaten Linien für verschiedene Verkehrsmittel (PKW, Motorrad, LKW, …). Die voneinander unabhängigen Linien verhinderten jedoch eine übersichtliche Darstellung der Zusammensetzung des Verkehrsaufkommens und das Ablesen des gesamten Verkehrsaufkommens ohne eigene Berechnungen durch den Benutzer.

Um diese Schwächen auszugleichen, verwenden wir stattdessen ein Stacked-Area-Chart. Besonders die Summe der Verkehrsteilnehmer lässt sich so einfach in der Visualisierung selbst ablesen. Die Zusammensetzung des Verkehrs kann zwar besser abgelesen werden, wird jedoch zusätzlich noch durch ein zusätzliches Kreisdiagramm unterstützt. Dieses zeigt dynamisch die prozentuale Zusammensetzung des Verkehrs eines ausgewählten Tages.

Die Auswahl einer Darstellung der Fußgängerzahlen erfolgte ohne viel ausprobieren. Ein Liniendiagramm der kontinuierlichen, täglichen Gesamtzahlen ist nicht nur die naheliegendste Visualisierung, es ermöglicht auch einen besonders leichten Vergleich mit den ähnlich gearteten weiteren Diagrammen.

Um die wöchentlich wiederkehrenden Schwankungen auszugleichen, stellen wir den gleitenden Wochendurchschnitt zusätzlich dar. Diese entstehen durch die Platzierung der Messstation in den Planken und den unterschiedlichen Besucherzahlen an verschiedenen Wochentagen (samstags besonders viele, sonntags besonders wenige).

Die einzelnen Tageswerte werden zusätzlich als Balkendiagramm im Hintergrund der Visualisierung dargestellt.

Die 7-Tage-Inzidenz stellen wir ebenfalls als Liniendiagramm dar. Damit orientieren wir uns an der aus den Medien bekanntesten und vertrautesten Darstellungsform.

Wir stellen sowohl den Verlauf für Baden-Württemberg als auch für Gesamtdeutschland dar. Der Unterschied ist zwar bisher nur gering, ermöglicht aber Rückschlüsse, ob eher die tatsächlichen Zahlen in Mannheim oder die die stärker kommunizierten Daten im Bund ausschlaggeben sind.

Implementierung

Unser Projekt wurde mithilfe des auf JavaScript basierenden „Angular“- Frameworks implementiert. Große Teile der User-Interaktionen können so im Browser ohne Reload ausgeführt werden. Zudem ist Angular ein stabiles und verlässliches Framework, dass eine gute Umsetzung des Projekts sowohl auf mobilen als auch stationären Endgeräten ermöglicht.

Zur grafischen Darstellung wurde die Bibliothek „Apache ECharts“ verwendet. Interaktive Diagramme können mit ECharts schnell erstellt werden und auch mit größeren Datenmengen, z.B. den gesamten Coronazahlen des RKI, schnell und performant umgehen. ECharts punktete für uns auch mit seiner Vielzahl an Diagrammtypen. Insgesamt enthält die Bibliothek ca. zwanzig grundlegende Diagrammtypen. Hiermit konnten im Projekt alle für uns relevanten Graphen dargestellt werden.

Umsetzung als Prototyp

Abbildung des gesamten Prototypen mit Daten zu Verkehr, Fußgängerzahlen und 7-Tage-Inzidenz.

Der Prototyp enthält die drei, von uns gewählten Visualisierungen, untereinander dargestellt. Die Umsetzung beruht auf des Java-Script Frameworks Angular, sowie Node.js. Zur Darstellung der Daten als der Graphen wurde die “Apache-Echart”-Bibliothek verwendet. Von oben nach unten hier dargestellt werden die Daten der MVV Verkehrskamera ”Mavi01“, der Messstation ”Planken Mitte” von www.hystreet.com und die 7-Tage-Inzidenz des Robert-Koch-Instituts.

Unter jedem Graphen befindet sich ein eigener Zeitstrahl, mit dem der angezeigte Ausschnitt der Daten angepasst werden kann. Dies kann per direktem Ziehen, Markieren eines Teilbereiches mit der Maus oder dem Heranzoomen mit dem Mausrad erfolgen.

Ursprünglich war geplant einen einzigen Zeitstrahl für alle Abbildungen zu haben, um diese synchron anpassen zu können. Dies konnte jedoch aus technischen Gründen nicht ohne erhebliche Nachteile, in der vorgegebenen Zeit, realisiert werden.

Einfaches Klicken auf die Legende ermöglicht es die ausgewählten Details aus-, bzw. einzublenden.

Auf der rechten Seite befindet sich eine Toolbar, die den Wechsel zwischen verschiedenen Darstellungstypen ermöglicht. Zusätzlich lassen sich die Rohdaten anzeigen, die vorgenommenen Einstellungen zurücksetzen oder ein Screenshot zu erstellen.

Zusätzlich bietet der die Visualisierung der 7-Tage-Inzidenz die Möglichkeit, bestimmte Bereiche in der Abbildung selbst, zum Beispiel für Präsentationen zu markieren.

In einer früheren Iteration enthielt der Graph Markierungen mit Kommentaren zu den jeweils aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Diese wurden jedoch zur Gewährleistung einer besseren Übersichtlichkeit verworfen.

Ausblick

In Zukunft ist eine Anbindung an die existierenden APIs fertigzustellen, um eine automatische Aktualisierung aller Datensätze zu ermöglichen.

Des Weiteren brächte die Einbindung weiterer Verkehrsmittel, vor allem des ÖPNV weitere Einblicke in die Änderungen im Verhalten der Verkehrsteilnehmer.

Fazit

Die Ergebnisse der PKW EDA sind überraschend gewesen, um nicht zu sagen unbefriedigend, allerdings ist es ja auch ein Ergebnis zu sagen, dass es keinen erkennbaren Zusammenhang gibt.

Positiv überraschend dahingegen war die Untersuchung der Fußgängerzahlen. Selten etwas so Eindeutiges gesehen.

In jedem Fall ist das Ergebnis jedoch hilfreich und kann für weitere Analysen und Fragestellungen herangezogen werden.

Warum gibt es keinen erkennbaren Zusammenhang? Waren die Home Office Maßnahmen nicht genug? Oder wurde der Effekt dadurch ausgeglichen, dass weniger Leute mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren sind?

Hierbei wäre es durchaus hilfreich weitere Daten heranzuziehen.